06.11.08

Leonhard Cohens Hallelujah

Hier sitze ich, sollte Predigt vorbereiten und lausche statt dessen ganz verzückt Leonhard Cohen, dessen Stimme wie Honig in meine Ohrmuscheln rinnt. Nicht dass ich seinen Buddismus überzeugend finde. Ich glaube eher, dass er dort am Schönsten ist, wo er seinen jüdischen Wurzeln am nächsten ist. Sein Hallelujah ist nicht nur zu Recht zum besten kanadischen Lied aller Zeiten gekürt worden, sondern es gelingt Cohen immer wieder, Gefühlen Ausdruck zu verleihen, mich damit anzustecken, in einem Maß das ich bewundere. Er erzählt von König Davids Psalmenschreiben und seinen Fall aus Gefallen an Bathseba. David dichtet weiter, ohne je wieder der Gleiche wie vorher zu sein:

There's a blaze of light In every word
It doesn't matter which you heard
The holy or the broken Hallelujah


Spätestens ab hier singt Cohen wohl ebenso sehr von sich als von David, wenn er fortfährt:

I did my best,
it wasn't much
I couldn't feel,
so I tried to touch

Ist das nicht eine wundervolle Beschreibung von uns Heutigen in unserem ganzen Dilemma? Wie vieles haben wir verlernt zu verstehen, und versuchen dann es durch berühren, durch tasten zu begreifen. Legen Hand an, versuchen es in den Griff zu bekommen und wollen nicht akzeptieren, dass auch noch so viel Fingerspitzengefühl die Liebe nicht erschaffen kann und alle möglichen Erfahrungen noch keine Begegnung machen, um es mit Martin Buber zu sagen. Dieses Neben- und Ineinander von der Suche nach Schönheit und der Suche nach Wahrheit, dem Verlangen von Haut und Augen und dem Verlangen des Herzens scheint mir überhaupt eines der großen Themen von Cohen zu sein.

Ich glaube, über das Verhältnis von Schönheit und Wahrheit haben wir Mennoniten viel zu wenig zu sagen. Gefühle und Gedanken erscheinen uns fast beziehungslos nebeneinander zu stehen. Als hätten wir manche der Psalmen Davids noch nie mit dem Herzen und Salomos Hohelied noch nie ohne Scham gelesen. Mir scheint, wir könnten gern ein wenig jüdischer werden. Vielleicht waren auch so wenig Christen und schon garkeine Mennoniten im Dritten Reich bereit ihre Stimme für die Juden zu erheben, weil ein körperloser Glaube sich vor Mit-gefühlen scheute, weil eine logisch kopflastige Ethik das "splagchnizomai", das magenumdrehende Erbarmen Gottes aus Matthäus 18,27 vergessen hatte.

Und dann endet Cohen, fast schon paulinisch:

And even though it all went wrong
I'll stand before the Lord of Song
With nothing on my tongue
but Hallelujah

Da ist Material für eine Predigt, wenn es auch nicht zu dieser passt. Denn wie Paulus den Altar an den unbekannten Gott in Athen nicht ungenutzt lassen konnte, so kann man meines Erachtens solche freischwebenden Bruchstücke suchender, "postmoderner" Theologie ebenfalls nur aufnehmen, ernst nehmen, einbinden, neu ausrichten auf den "Lord of Song", so wie er uns in seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung begegnet ist.

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