Was ist los in diesem Land? Ich bin gerade dabei, ultrakonservativ zu werden, bei allem was mit Ehe und Familie zu tun hat. Aber vielleicht werde ich doch lieber feministisch? Ich wünschte es gäbe einen –ismus der die miserablen Verhältnisse in den paraguayschen Familien verbessern könnte. Sozusagen eine Medizin. Religiosität hilft nichts. Es gibt hierzulande kaum einen Bus auf dem nicht „Gott schütze uns“, „Jesus ist Retter“ oder dergleichen mehr zu lesen ist. Es gibt einen Fernsehsender der ständig fromme Sprüche bringt. Einer der beliebtesten Radiosender ist evangelisch...
Die Probleme der Ein-Eltern-Familien scheinen noch am einfachsten und vor allem am klarsten begrenzt zu sein. Mama muss arbeiten, wo sollen also die Kinder bleiben? Und dann halt die „normalen“ Erziehungsprobleme. Wobei zu "normal" gehört, dass man sich halt überlegen muss, wie ein Elfjähriger es schafft, morgens um 6 Uhr aufzustehen, seine beiden jüngeren Schwestern zu wecken, sie in die Kita zu bringen und sich selbst zur Schule... Das sind Peanuts. Über die 10-jährige Nida braucht man sich anscheinend keine Gedanken zu machen, denn wenn sie nicht zur Schule muss, braucht ihre zweijährige Schwester auch nicht in die Kita, auch wenn Mama den ganzen Tag auf Arbeit ist. Die große Schwester als Ersatzmama.
Am schlimmsten finde ich die Beziehungsprobleme der Erwachsenen, speziell der Ehepartner. Hier hat der Mann eine zweite Liebesbeziehung und zwingt seine Frau, diese zu akzeptieren. Dort flirtet die Frau wieder mit ihrem Ex-Lover und wundert sich, wenn ihr Mann eifersüchtig reagiert. Dann ist da Marie, die ihrem Mann absolut treu ist, aber ihre Arbeit aufgeben musste, weil er Angst hatte, sie würde sich andere Partner angeln – was er durchaus getan hat, damals als sie mit ihrem ersten Kind schwanger war... Außerdem bringt er kaum genügend Geld nach Hause, weil er am Zahltag gerne mal mit Freunden ausgeht und auch mal einen über den Durst trinkt.
Dann ist da Familie Cáceres. Der Mann verdient gut, studiert nebenher Jura, will bald seine Abschlussarbeit schreiben. Sie scheint ihm treu ergeben und versorgt mit viel Hingabe ihre sechs Kinder, die alle sehr scheu und schüchtern sind, ärmlich angezogen, schmal und blass. Eines fängt an zu klauen. "Die Kinder sind ständig hungrig", erklärt mir eine Nachbarin. Der Vater hat noch zwei weitere Familien mit weiteren 10 Kindern... Wie soll da bitte der beste Lohn ausreichen? Wenn die Kinder nicht spuren, beziehen sie Prügel. Bei größeren Vergehen ruhig auch mal mit dem Stock, mit einem Kabel... Die Mutter bekommt kein Geld auf die Hand, er stellt die Lebensmittel zur Verfügung. Die Kleider für ihre Kinder näht sie selbst, verkauft Eier von ihren Hühnern, selbstgekochte Marmelade und Berliner... Sie traut sich kaum um Hilfe zu bitten, sich Rat zu holen, denn sie hat Angst vor ihrem Mann.
Eine meiner Nachbarinnen hat angeblich zwölf Kinder. Ihr Sohn meint allerdings, sie seien zu neunt. Ich kenne nur vier davon und zwei sehe ich gelegentlich. „Der Herr versorgt mich“ sagt sie fromm zu mir, ...und die nette Nachbarin (nämlich ich) kümmert sich wenigstens ab und zu um ihre Kinder, die sie unbekümmert in die Welt gesetzt hat und die z.T. mehr als verhaltensauffällig sind... Jetzt wohnt der Vater der jüngsten beiden Kinder wieder bei ihr... Man sollte ihr eine Packung Kondome schenken... aber die benutzt ein echter Macho wahrscheinlich nicht. Die Pille ist zwar fast gratis, aber ihr bestimmt zu ungeistlich („Ich nehme was der Herr mir schenkt“), eine Sterilisation sicher zu teuer... (teurer als eine Geburt.)
Und heute stand eine fremde Frau vor meiner Tür, die ein niedliches Kind mit einer hässlichen Lippen-Kiefer Spalte auf dem Arm trug. Sie habe elf Kinder und keine Arbeit. (Und wie viele Männer die keine Alimente zahlen???) Und das Einjährige könne erst in einem halben Jahr operiert werden...
Und inmitten von diesem Gomorra lebe ich mit meinem liebevollen, treuen Mann, der selbst bei großem Stress niemanden verprügelt, nicht raucht, kaum trinkt, sogar im Haushalt hilft, und mit meinen drei tollen Kindern in einem ausreichend großen Haus mit fließend Wasser, eigenem Stromanschluss, Telefon, Handy, Klimaanlage. Keine großen Krankheiten, keine Lover, keine Schulden und freien Zugang zum Konto meines Mannes... Ich passe zu meiner Gemeinde wie die Faust aufs Auge!
5 Kommentare:
ach was für eine schöne liebes erklärung gibst du da robert.
aber auch krass was du erzählst. wahsinn wenn man mal dahinter schaut. euch viel kraft und gottes segen für euer dort sein und danke dass ihr soviel von euch und eurem leben in Paraguayerzählt. wir lesen sehr gerne und denken viel an euch
ja, ich bin auch ganz beeindruckt von der Liebeserklärung.
Der Fernsehsender bringt neben frommen Sprüchen noch eine Menge guter Programme. Aber "Religiösität" als solche gibt es hier wirklich eher zu viel als zu wenig. Nachfolge dagegen eher wenig.
Wenn ich mir Leonies Bericht anhöre, habe ich den Eindruck, in China wäre die Welt noch in Ordnung. Wahrscheinlich ist es aber eher so, daß wir hier andere Probleme haben. Scheidungen werden auch immer mehr, aber SO VIELE Kinder werden hier nicht geboren. Die werden vorher alle abgetrieben! Das eine ist wohl der schnelle Tod, das andere der Langsame...! Die Not ohne Jesus ist echt eine NOT!
Ja, Leo, euer Leben steht in krassem Gegensatz zu eurer Umgebung und es gehoert viel Staerke dazu, diesem Druck auszuhalten und nicht zu viel aber auch nicht zu wenig zu geben und sich dabei nicht schuldig zu fuehlen. Wir gehoeren zu denen, die dem Druck nicht so gut stand gehalten haben. Wir wuenschen euch Gottes Kraft und Beistand, der Welt, in der ihr lebt, zu begegnen.
Das war ich, Marcella. Liebe Grüße auch.
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