25.06.10

pädagogik der unterdrückten

Liebe Welt,
ich möchte einfach mal mitteilen, was hier in den Schulen so los ist. Die Pädagogik der Unterdrückten gibt es tatsächlich immernoch. Ich weiß zwar nicht, wer die Unterdrücker sind, aber irgendetwas, irgendjemand hat ein Interesse daran, einen gewissen Prozentsatz Analphabeten in diesem Land beizubehalten, sowie die Schüler möglichst vor selbständigem Denken zu bewahren. Ich meine, ein sogenanntes Entwicklungsland wie Paraguay muss natürlich gewisse "Bildungsreformen" durchführen, um an internationale Kredite zu kommen... Und das ist, was dabei heraus kommt:
Ich kenne hier kein einziges Kind, das am Ende der ersten Klasse lesen konnte. Höchstens ein paar Supergescheite von den Privatschulen, die sozusagen trotz des Unterrichts Lesen gelernt haben. Dabei wird schon in der Vorschule mit Zahlen und Buchstaben herumgemacht und die Vorschule ist Pflicht. Nach den Vokalen lernen die Kinder nämlich die Konsonanten bei ihrem Namen zu nennen: "Be","Ce","De" usw. Bei "Em" und "Es" hört sich das auf spanisch dann so an: "Eme","Ese". Die Kinder der öffentlichen Schulen lernen NICHT, wie die einzelnen Buchstaben in einem gesprochenen Wort klingen müssen. Das Zusammenschleifen der Buchstaben hört sich dann folgendermaßen an: "Ese-a: sa, pe-o: po.- Sa-po." (Frosch) Kein Wunder, dass viele genau in diesem Prozess des Lesenlernens stecken bleiben. Sie kennen zwar alle Buchstaben, sind aber spätestens bei Wörtern mit mehr als zwei Silben restlos überfordert. Selbst wenn die Schülerinnen und Schüler diese Phase irgendwann überwinden, verlassen viele die Schule ohne sinnentnehmend lesen zu können.
Kürzlich habe ich eine meiner kleinen Freundinnen aus der KiTa abgefragt. Dritte Klasse. Sie hatte sich auf eine Klassenarbeit im Fach Gesundheitserziehung vorbereitet. Die Fragen und Antworten standen fein säuberlich in ihrem Heft. Frage: Was ist Milch? Antwort: Milch ist eine weiße Flüssigkeit die man von den Säugetieren erhält. Aha! Da habe ich doch gleich ganz dumm weiter gefragt: "Was sind denn Säugetiere?" Antwort: "Weiß ich nicht." Nachdem ich es ihr erklärt habe, zählt sie mir ohne weiteres verschiedene Tiere auf, die ihre Jungen mit Milch ernähren und weiß natürlich auch, welches Tier uns Menschen mit Milch versorgt. Warum müssen Drittklässler lernen, was sie bereits als Zweijährige wussten?
Joel und Martin gehen in eine teure Privatschule. Erste und zweite Klasse. Vor einigen Wochen hatten sie in der Schule das Thema Elektrizität durchgenommen. Eine ganze Stunde lang - oder war es eine Doppelstunde? Folgendes Sprüchlein stand in ihrem Heft: "Elektrizität ist eine Energie die durch die Anhäufung von Protonen und Elektonen verursacht wird." Alles klar? Auf Nachfrage wussten sie immerhin noch, dass die Protonen positive und die Elektronen negative Ladung haben. Das Sprüchlein haben sie dann für die Klassenarbeit auswendig gelernt... Nächstes Jahr lernen sie dann ein weiteres Sprüchlein, das die Thematik etwas erweitert. Und übernächstes Jahr noch eins und danach noch eins usw. usw.
Und Paulo Freire dreht sich im Grab...

3 Kommentare:

bennik hat gesagt…

hmm eigentlich wollte ich schreiben:
"danke Robs,
ich freue mich, dass meine Erfahrungen in Paraguay nicht einzigartig waren und ich damals keiner Illusion erlegen bin."

aber eigentlich freue ich mich nicht darüber ich bin darüber sogar ziemlich wütend!
Ich hoffe Joel und Martin geben nicht auf und freuen sich weiterhin über echte Bildung, so wie sie es taten als ich bei euch war.
Gleichzeitig hoffe ich, dass sie an der Schule nicht verzweifeln so wie ich damals und irgendeinen Mittelweg finden.

Die Hoffnung, dass sich Paraguays Bildung in absehbarer Zeit habe ich aufgegeben, selbst wenn du Bildungsminister würdest...

bennik hat gesagt…

"...in absehbarer Zeit ändert habe ich aufgegeben,..." meinte ich

Robert hat gesagt…

Der Post ist von Leoni, versteh nicht ganz, warum das nicht angezeigt wird. Vor der Realität hier denk ich oft mit einigem Sodbrennen an meinen Heidelberger Professor V. Lenhard, Vergleichende Erziehungswissenschaft, international anerkannter Experte der viel mit der UNESCO zusammenarbeitete. Er meinte Freire schon abqualifizieren zu können, indem er nur die Achseln zuckte und meinte, heute wisse man ja nicht mehr, wer die Unterdrücker und wer die Unterdrückten seien. Als ob die Schuldzuweisung auch nur annähernd wesentlich für Freires Konzept sei. Oder den Satz von Illich, dass Schulen nicht helfen, karikierte er mit dem Satz: "Dann probiert es doch mal ohne!" Wenn man sieht wieviel kindliches Interesse unwiederruflich zerstört wird - durch stupide Lehrpläne und Lehrer, die nur im gleichen System "gebildet" wurden, dann erscheint das zwar fast als Alternative. Fragwürdig ist hier die Schule allemal. Da kann man als Erziehungswissenschaftler doch nicht nur gekränkt ihre Alternativlosigkeit anführen, sondern muss sich der Frage stellen, wie Schule jenseits dessen was wir heute kennen wieder hilfreich werden könnte. So weit ich bisher herausfinden konnte, ist unser derzeitige Lehrplan als Bedingung zu bestimmten Weltbankkrediten ins Land gekommen. Falls mich jemand aufklären kann, wie das im Einzelnen funktioniert, wäre ich dankbar!

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