29.06.10

Allein

Wir haben neue Kinder in der Kindertagesstätte aufgenommen und begegnen neuen Schicksalen.
Da sind die beiden Mädchen, sechs und neun Jahre alt, deren Vater Alkoholiker ist. Die Mutter arbeitet sechs Tage die Woche, 11 Stunden pro Tag. Ihr Mann hatte vor einiger Zeit einen Unfall, weshalb sie haufenweise Schulden bei ihrer Apotheke hat. Der Mann ist wieder soweit genesen und beide arbeiten wieder. Nun wurde ihm im Bus sein Geldbeutel geklaut. (Er hat uns die polizeiliche Anzeige vorgelegt.) Daraufhin konnten sie auch ihre Schulden bei der Kita nicht bezahlen... Hinzu kommen Eheprobleme, Beleidigungen, Erniedrigungen. Der Vater scheint den Mädchen gegenüber sehr indifferent, die Mutter hat aber eine gute Beziehung zu ihnen, trotz der wenigen Zeit, die sie mit ihnen verbringen kann.

Eine ganz spezielle Aufgabe wurde uns mit Jacob (ein Jahr alt) in die Kita gebracht. Seine Mutter ist angeblich 21 Jahre alt, hat aber noch einen älteren Sohn von drei Jahren, der hat aber einen anderen Vater. Jacobs erster Geburtstag wurde in der Kita gefeiert. (Keine Ahnung wo sich die junge Mutter das Geld für die Dekoration, die Torte und den Kakao zusammengebettelt hatte.) Es ist üblich, dass zum ersten Geburtstag eines Kindes sämtliche Verwandten und Freunde der Familie mitfeiern. Nicht also bei Jacob. Die Oma tauchte zwar mit zwei drei zwielichtigen Gestalten auf. Weigerte sich aber, mit ihrem Enkel überhaupt Kontakt aufzunehmen, geschweigedenn fotografiert zu werden. (Das ist eigentlich obligatorisch: Möglichst jeder lässt sich mit dem Jubilar fotografieren.) Anstatt der Verwandschaft, waren wir Kita-Tanten mit Jacob auf dem Foto: Rossana, Elva und ich. Dabei kannten wir den Kleinen erst seit drei Wochen. Da wurde uns klar: WIR sind Jacobs Familie. Seine Oma liegt mit seiner Mutter im Streit und will von ihm nichts wissen. Sein Vater ist ein verheirateter Mann, der auch nicht im entferntesten daran denkt, die Folgen seines außerehelichen Abenteuers zu finanzieren. Jacobs Mama hat keinen Beruf und keine Freunde auf die sie sich verlassen könnte, nur wechselnde Liebhaber und einen Teilzeit-Job als Haushaltshilfe. Ihr Lohn reicht gerade mal für etwas zu Essen und vier Windeln pro Tag. Und vergangenes Wochenende hatte Jacob eine ausgewachsene Magen-Darm-Grippe... In unserer Kita hat Jacobs Mama inzwischen Schulden von über 40 Euro angehäuft. Das ist viel wenn man bedenkt, dass sie in der Woche nur etwa 15 Euro verdient. Sprich, wir brauchen nicht zu hoffen, dass sie dieses Geld je bezahlen kann. Die junge Frau liebt "ihren Dicken" zwar, denkt aber trozdem lieber an ihr eigenes Vergnügen. Ob das an ihrer trostlosen Situation liegt? Oder an ihrer eigenen mangelhaften Erziehung?

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