13.09.10

Warum ich (immer noch) Christ bin?

Eine Freundin lud mich ein, in einer Zeitschrift auf diese Frage zu antworten.

Ja, was wäre denn die Alternative? Klar, Christsein hat seine Nachteile! Völlige Abhängigkeit von der Führung eines mitunter schwer verständlichen Gottes, freiwillige Reduzierung materieller Sicherheiten, geschwisterliche und auch noch liebevolle Beziehungen zu Menschen die mindestens so große Macken haben wie ich selbst, Verzicht auf eigene Rechte bis zum Extrem der Liebe zu meinen Feinden... - Manchmal steh ich schon neben mir und frage mich, ob ich jetzt unter dem Helsinki-Syndrom oder etwas Vergleichbarem leide. Das ging schon Jeremia im dritten Kapitel der Klagelieder so. Kürzlich lass ich bei Adrian Plass von jemandem, der soooo müde war Christ zu sein und endlich nur noch bei Jesus sein wollte. Das klingt jetzt vielleicht unerwartet fromm für einen Christen, aber es trifft den Nagel auf den Kopf. Oder um es sinngemäß mit Shane Claiborne zu sagen: Ich weiß nicht, wieso Leute behaupten, Jesus sei die Antwort auf all deine Probleme. Ich mache eher die umgekehrte Erfahrung gemacht: je mehr ich Jesus folge, desto mehr Probleme hab ich.

Aber nochmal: Was wäre denn die Alternative? Geld verdienen bis ich entweder als Loser unter die Räder komme - oder bis ich zu den wenigen Gewinnern gehöre, denen der Kaviar nicht mehr schmeckt? Vergnügen in mich hinein saugen, bis ich ganz ausgehölt bin und mir sämtliche Freude zerbrochen ist? Mein Leben auf zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen, bis ich merke dass die andern auch nicht verlässlicher sind als ich? Mir mein eigenes kleines Reich der Bürgerlichkeit aufzubauen um dann am Abend gemütlich die Buddenbrooks zu lesen? Da wäre ja eine stabile Wand zum Gegenfahren atraktiver! Denn um ein gutes Leben auf eigene Rechnung zu leben, altruistisch die Welt zu retten, oder den Regenwald, oder den Frieden auf Erden, dazu bin ich viel zu pessimistisch. Und der Wechsel zu Islam, Buddhismus, Hinduismus oder sonstiger Religion scheint mir auch eher vom Regen in die Traufe zu führen. Ich hab vor Wenigem mehr Angst, als eines Abends aufzuwachen und zu merken, dass ich mich die ganze Zeit selbst belogen habe, dass ich in den Wind geschlagen habe, wie Paulus es ausdrückt. Da singe ich mit Ararat: "Meine kleine Seele, die fing bald an zu schrein: Das ist es alles nicht, das macht mich nur alleine."

Es ist kein Zufall, dass ich viele Mitchristen zitiert habe. Geschwister sind nicht nur das stärkste Argument gegens Christsein, sie sind auch die beständige Ermutigung, dabei zu bleiben. Wie in allen Familien. Wenn ich gelegentlich in ihrem Verhalten Jesus handeln sehe. Wenn in ihren Worten plötzlich Jesus mit mir redet. Wenn plötzlich im Gesicht des Bruders oder der Schwester Gottes Angesicht für mich sichtbar wird (Genesis 33,10). Wenn ich die Lebensregungen des mächtigen Organismus spüre von dem ich ein Glied bin. Wenn ich spüre wie der Leib Christi sich reckt und streckt - dann will ich auf keinen Fall den Moment verpassen, in dem er vom Schlaf erwacht und aufstehen wird, um seinem Bräutigam entgegenzugehen. Das Hochzeitsfestfinale wird noch hundertmal besser wie im Herrn der Ringe - und ich werde dabei sein, als Teil dieser größten Erzählung aller Zeiten! Auf die Verheißung dieser Liebe hin zu leben erscheint mir immer noch sinnvoller als alles andere. Und das Leben ist nun einmal so, dass man es nur ganz oder garnicht leben kann - also will ich wirklich alles auf diese Karte setzen. Sollte es entgegen aller meiner Begegnungen mit Jesus, entgegen allem was er für mich getan hat, entgegen aller narrativen Wahrscheinlichkeit und gegen das Zeugniss und die Erfahrung von Millionen Geschwistern doch die falsche Karte sein, sollte mit dem Tode doch alles aus sein? Tja, dann würde ich wenigstens nie aufwachen um es zu erfahren!

Keine Kommentare:

Unsere Welt