12.08.08

Kulturschock - kulturloser Schock

Und das nach einem Jahr?? Oh ja!! Zwar nicht der erste, aber nochmal richtig!
Es begann am Freitag mit einem Anruf: In unserer Kirche wurde in der Nacht eingebrochen! Der neue Rasenmäher mit Verlängerungskabel weg. Mist! Da dank meiner Bequemlichkeit und göttlicher Fügung der Verstärker grad bei uns zu hause war, war ja auch nicht viel mehr wertvolles drinn - dachte ich. Wir verrammeln die aufgebrochene Tür besser. Alle mit denen ich am Wochenende rede sind überzeugt, dass die Diebe in Eile waren und wiederkommen werden. Schließlich sind 2 Gasflaschen drinn, jede Menge Teller und Plastikbesteck, eine Gitarre, ein uralter Overheadprojektor, Kabel, Kühlschrank, Schränke, Gasherd, Tische... Ok - wußte ich nicht, dass all das einen neuen Einbruch durch eine verstärkte Tür lohnt - aber wenn ihr meint! Der Nachtwächter den wir bezahlen und wegen dessen Bewaffnung ich schon lang ein mulmiges Gefühl habe, hat übrigens nichts gesehen und gehört. Das wars dann wohl mit unserer Beteiligung an seinem Gehalt. Lieber in Gitter investieren. Kirche mit Gittern - scheußlich! Kann man nicht innen einen bombensicheren Raum bauen? Gibt es nicht, denn wenn sie einmal drinn sind sieht sie keiner und sie können die ganze Nacht in aller Seelenruhe arbeiten. Bei andern wurden schon Wände durchbrochen - sollen wir jetzt ein Gitter um das ganze Haus ziehen? Plötzlich tauchen auch Verdächtigungen auf: Natürlich waren das die Obdachlosen im Nachbarviertel. Nein, es war ein junger Mann der seit einigen Monaten zum Gottesdienst kommt. Hat einen ganz schlechten Ruf im Viertel und hat sich kürzlich zu sehr für den Inhalt unserer Abstellkammer interessiert... Angeblich!
Und wie reagieren wir jetzt? Am Freitagabend sprechen wir in der Gebetstunde darüber. Unbedingt anzeigen lautet die vehementeste Meinung. Ich hab keine Lust darauf. Erstens fürchte ich die Mühlen der Bürokratie und als Argument hab ich ja da noch gewisse alternative Vorstellungen über den christlichen Umgang mit Verbrechern. Ich grüble was wohl "andere Wange hinhalten" heißt und hab eine grandiose Idee. Wir werden ein Schild an die Straße hängen und bieten dem der uns den Rasenmäher zurückbringt 500.000 Gs. und Verzicht auf Polizei. Ich präsentiere meine Idee am Sonntag im Gottesdienst. Aufgeregte Diskussion. Alle sind gegen Anzeige erstatten, aber alle aus Motiven die mir nicht gefallen. Die einen weil es eh nichts bringt, die andern aus Angst vor der Rache der Diebe. Mein Plakat wird exakt als das Gegenteil dessen verstanden, was ich damit beabsichtigte. Die Hardliner finden es klasse und wollen 100 Stück davon aufhängen, jene auf deren Rat ich viel mehr gebe, raten dringend davon ab. Ich brauch eine Weile bis mir klar wird, dass das Plakat nicht als Gesprächsangebot aufgefasst wird, sondern als Kopfgeld-Offerte. Ich bin platt. Das haut mich dermaßen aus der Spur, dass ich nicht mehr vermitteln kann, was ich eigentlich will. Herrn X, der für hart durchgreifen plädiert, hab ich schon mal erwogen wegen Kindesmißhandlung anzuzeigen - aber er beschuldigt jetzt die Zögerlichen dass sie nur so nachgiebig sind, weil es nicht ihr persönlicher Rasenmäher war. Wir lassen das mit dem Plakat und beschließen statt dessen, intensiv für die Verantwortlichen zu beten. Vielleicht ist ja noch nie für sie gebetet worden. Das wäre doch jetzt ein schöner Sinn des Ganzen. Nach dem Gottesdienst wieder lange Verhandlung mit unserem Baumeister, was man wo wie baulich verändern müsste... Er plädiert allerdings viel stärker als für bauliche Maßnahmen dafür, dass die Brüder reihum je eine Nacht in der Kirche schlafen. Er findet, das sei die bestmögliche Massnahme für die nächsten Jahre (!!!!). Nicht mit mir, denk ich nur im Stillen - aber vielleicht hat er ja recht. Dass ein junges Ehepaar einzieht findet er dagegen bedenklich. Der Gedanke an Sex im Kirchengebäude stört ihn. Ich lass durchblicken, dass ich da eigentlich kein Problem sehe, aber das war ja jetzt eigentlich nicht das Thema.
Währenddessen stehen unsere ganzen männlichen Jugendlichen giggelnd auf einem Haufen und erflehen meine Übersetzungshilfe, nur weil wir zwanzigjährigen, hellharigen, weiblichen Besuch aus Deutschland haben.
Und drei Straßen weiter wird während unserem Gespräch der Supermarkt mit vorgehaltenener Waffe überfallen. Nicht nur die Kassen, sondern auch gleich alle Kunden werden bis auf den letzten Cent ausgeraubt. Normalerweise wäre unser Baumeister auf seinem Heimweg zu diesem Zeitpunkt schon in eben jenem Super. Gut das wir so lange geredet haben! Gottes Mittel sind manchmal etwas merkwürdig!

Aber noch ist das Wochenende längst nicht ausgestanden. Nachmittags erster Geburtstag eines Enkels unserer Gemeindeglieder. Das ganze Viertel scheint sich zu Kakao und Keksen zu versammeln, mindestens 100 Luftbalons und gut halbsoviel Kindern schmücken den Garten, den eine lange Schlangenreihe von Stühlen säumt, auf die wir uns setzen und in unseren Kakao gucken. Der einjährige Jubilar wird ununterbrochen gefilmt und scheint genervt - aber lammfromm. Muss mir mal das Beruhigungsmittel verraten lassen. Die Mutter lächelt angestrengt, wann immer sie sich jemandem der Gäste zuwendet und hat den Kleinen ununterbrochen auf dem Arm. Sonst würde ja auch seine Festtagsgarderobe dreckig. Die Kinder sitzen meist auch auf den Stühlen und mampfen Kekse. Danach gibts Fotos mit der Torte: erst die Jungen, dann die Mädchen. Dann kleines Plastickspielzeug aus einem platzenden Luftbalon aufsammeln: erst die Jungen, dann die Mädchen. Dann in zwei Reihen auf das Rememberle warten: eine Reihe Jungen, eine Reihe Mädchen. Dann nach etwa 2 Stunden nach Hause gehen.
Den Mann der etwa 20-jährigen Mutter und Vater des Stammhalters hab ich die ganze Zeit nicht gesehen und bin neugierig. Später wird er mir auf der Straße vor dem Haus vorgestellt. Der Schock gibt mir den Rest. Er ist bestimmt 40.
Ich will nur noch nach Hause. Aber wo ist das? Wir fahren in unsere Wohnung. Unser Besuch aus Deutschland bringt die Kinder ins Bett. Unser Dank soll ihr nachjagen!!!
Leoni und ich fahren für zwei Stunden nach Europa. Shopping del Sol heißt das Mall. Normalerweise machen wir einen Bogen darum. Heute brauch ich diese andere Welt. Als Gegengift sozusagen. Der Gegenschock setzt schon nach wenigen Minuten ein. Wir haben uns in ein Spielzeuggeschäft verirrt und sehen dort neben all den riesigen Lego- und Playmoboxen und Püppchen - neben denen Barbies bieder und kindgerecht wirken würden - Samuraischwerter, Ninjasterne, Luftpistolen, einen Schießstand und alle möglichen Militäruniformen. Für die großen Kinder halt auch was zum Spielen. Das einzige was uns kurze Kaufüberlegungen anstellen lässt ist ein spanisches Tabuspiel. Das wäre was für unsere Jugendlichen in der Gemeinde. Aber diesen Kriegsschauplatz der Kuscheltiere müsste man eigentlich boykottieren. Wir gehen weiter und landen endlich in einer ganz kleinen, sehr netten Buchhandlung mit wunderschönen Kinder- und Bilderbüchern. Fast wie in Bammental. Ich setzt mich davor und schau Leoni durchs Schaufenster beim Stöbern zu. Fühl mich fast zu Hause. Und sehr müde.

Über den Montag (angeblich mein Ruhetag) schreib ich vielleicht ein andermal...

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Freu mich, mal endlich wieder was von Euch zu lesen. Ist zwar nicht schön, sowas unerfreuliches zu lesen, aber es kommt mal ein bißchen rüber, was für Herausforderungen Ihr dort habt. Aber dazu soll ja eigentlich auch ein Blog dienen - mal so richtig Dampf ablassen. hahaha
Ich wünsche Euch Gottes Geduld und Liebe für diese Menschen, die Ihr dort dient. Ohne Seine Hilfe schaffen wir es nicht!!!
Gruesse aus China, von der Jenny

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