20.02.12

Entkleidung und Verklärung

Lese seit einiger Zeit "Johann Georg Hamann" von Josef Nadler. Dieser Freund sowie Gegner Imanuel Kants und Lehrer als auch Freund Johann Gottfried Herders fasziniert mich ungeheuer. Wer das nicht verstehen kann, muss nicht weiterlesen. Ich hab auch einige seiner Schriften und will mich demnächst daran wagen sie zu lesen, aber ohne Einleitung und Hilfestellung bin ich zu unbelesen um irgendwas zu kapieren. Hamann kritisierte den aufklärerischer Kult der Vernunft von der Vernunft und der Philologie her. Gut hebräisch versteht er "erkennen" in engem Zusammenhang mit der Geschlechtlichkeit des Menschen, ein Zusammenhang der sich z.B. noch in der deutschen Doppeldeutigkeit von "Sinnlichkeit" erhalten hat. Eine solch „sinnliche“ Vorstellung von Erkenntnis passt natürlich überhaupt nicht mit dem aufklärerischen Konzept einer zergliedernden, analytischen Vernunft als höchster Autorität zusammen. Ich weiß noch nicht, ob es Hamann war oder nur Nadlers Interpretation Hamanns, dass er entscheident nachgedacht hat, wie der geschlechtslose Logos aus sich die Schöpfung mit ihrer ganzen zwiespältigen Geschlechtlichkeit hervorbringen könne und wie wir, durch unser Geschlecht bestimmte Menschen, am Ende der Zeiten wieder in dem einen göttlichen Logos zusammengefaßt werden könnten. Auch wenn ich Hamanns Frontstellung gegen Kant teile, was in der Postmoderne sicher nicht mehr so out ist als dazumal, scheint mir zumindest in Nadlers Zusammenfassung eine Menge unter den Tisch zu fallen oder unstimmig zu bleiben.

1. Wo bleibt die Liebe, wenn wir schon von geschaffener Geschlechtlichkeit reden? Da fällt mir wieder Kurt Martis Mahnung ein, warum denn keine christliche Dogmatik aus der Liebe Gottes entfaltet wurde.

2. Sobald ich aber den misteriös-mystischen und dennoch unleugbaren Zusammenhang von Liebe und Geschlechtlichkeit in die Gedanken miteinbeziehe, taucht die Frage auf, wie ein Gott der Liebe denn als geschlechtsloses Logos gedacht werden könnte (schon grammatisch ist es „der Logos“!). Damit will ich nicht sagen, dass Gott männlich oder weiblich ist. Vielmehr sind beide nach Gottes Bilde. Aber was wäre z.B., wenn männlich und weiblich vielleicht zusammenfielen in dem noch faszinierenderen Gegensatz menschlich und göttlich? Oder ist der Gedanke gotteslästerlich?

3. Wie soll ich mir einen Himmel vorstellen, der unsere Fähigkeit zu erkennen aufhebt? „Dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“ 1. Korinther 13,12. Warum sollte ich den Himmel als einen Ort annehmen, an dem eine der genialsten Ideen Gottes keinen Raum hat? Und das, obwohl wir an eine Auferstehung des Leibes glauben, wenn auch verwandelt und überarbeitet? Und wo bliebe dann unsere Ebenbildlichkeit in Bezug auf Gottes Kreativität?

4. Alle christliche Annahme, dass die Geschlechtlichkeit es nicht bis in den Himmel schafft, beruft sich meines Wissens nur auf Matthäus 22,30: „Denn in der Auferstehung werden sie weder heiraten noch sich heiraten lassen, sondern sie sind wie Engel im Himmel.“ Darf im Rahmen der Bibel nicht gedacht werden, dass es dabei nur um die Aufhebung der Institution Ehe, nicht aber der Geschlechtlichkeit gehen könnte? Ist nicht die Institution der Ehe später als die Schöpfung des Geschlechts? Wenn es Sexualität vor dem Sündenfall und damit vor der Scham gab, wie in Genesis 2 und 3 zu lesen, warum sollte es nicht auch in der neuen Schöpfung sündlose Geschlechtlichkeit geben?

5. Die Aufhebung der eigenen Geschlechtlichkeit als Ziel des Christseins? Das ist dann doch wohl vielmehr gnostisch als christlich oder gar hebräisch.

Fazit:
Ich weiß nicht, wie es ist. Ich weiß auch (noch) nicht, ob mein Eindruck auf Hamanns Erkenntnissen beruht oder auf Nadlers Interpretation derselben. Aber befriedigend finde ich die vorgestellten Konzepte von Gott, von der Ewigkeit und von dem Ziel des Christseins nicht. Wenn dagegen Liebe und Beziehungen als Ausgangspunkte der Reflektion gewählt werden, dann muss auch Gott nicht sosehr den absoluten und apriorischen Begriffen Kants ähneln, dann darf er auch unvernünftig sinnlich sein, so dass Mitleid sein Herz bewegen und sein Urteil ändern kann. Und dann ist auch das Christsein gegen die Gefahren der Gnosis besser geschützt. „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist!“

Sollte irgend ein Hamann-Kenner über Google auf diesen Eintrag stoßen, würde ich mich über „Aufklärung“ enorm freuen!! Aber auch alle andern Kommentare sind herzlich willkommen.

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