13.12.10

Warum ich (immer noch) Christ bin II

Wenige Stunden nach der Anfrage für diesen Artikel habe ich schon eine erste Version zurückgeschickt. Mit viel Eifer geschrieben, voller Leidenschaft. Erst Wochen später wurde mir klar, dass die Leidenschaft weniger aus Überzeugung entsprang, sondern aus dem Ärger über die Frage. Nicht dass ich die Frage hier beantworten darf hat mich geärgert – ganz im Gegenteil. Sondern dass die Frage an und für sich so selbstverständlich klingt, so naheliegend. Als würde man mich fragen, warum ich (immer noch) verheiratet bin. Fürs Christsein braucht man halt gute Gründe. Warum wird nur sehr selten jemand gefragt, warum er (immer noch) KEIN Christ ist? Erscheint es soviel logischer, wahrscheinlicher, kein Christ zu sein? Die Frage drückt für mich die Überzeugung unserer Zeit aus, dass Christsein dochwohl sogut wie überholt sei, kurz vor dem Schlussverkauf seines Tafelsilbers. Die Ratten haben das sinkende Schiff verlassen. Wie kann man denn nach zwei Weltkriegen, nach dem Holocaust noch an Gott glauben? Oder wie kann man angesichts des enormen wissenschaftlichen und technischen Fortschritts noch an Gott glauben? Wer keinen Facebook-acount hat, den gibt es nicht.
Aber warum sollten wir die Frage nicht umdrehen: Wie kann man nach zwei Weltkriegen, nach Holocaust und Ruanda, wie kann man angesichts von Irakkrieg und Somalia nicht an Gott glauben – und weiterleben? Die verzweifelte Lage unsrer Welt dient schnell als Argument gegen Gottes Güte oder Allmacht, solange ich danach wieder in mein sichres Apartment gehen kann, ohne schlimmere Ängste als die vor Übergewicht einschlafe und vorher noch meinen nächsten Auslandsurlaub plane. In einem europäischen Sozialstaat ist es verhältnismäßig leicht, an den technischen Fortschritt zu glauben. Der Rechtsstaat erleichtert es enorm, an die grundsätzliche Entwicklung des Menschen zum Besseren zu glauben. Sich bei der Tagesschau fünf Minuten über den Zustand der Welt aufzuregen und Gott für die ganze menschliche Misere verantwortlich zu machen erinnert nicht zufällig an die Hassmantras in Orwells „1984“. Aus der Distanz weiß man natürlich leicht, wer an allem Schuld ist. Wer sich aber dem Elend, der Korruption, der systematisch betriebenen Verdummung ganzer Völker, der Ausbeutung und Unterdrückung annähert, dem bleiben einfache Losungen schnell im Hals stecken. Wer heute konsequent nicht zulässt, vom Leid dieser Welt abgelenkt zu werden, wer sich auf Dauer der beruhigenden, einlulenden „Unterhaltung“ verweigert, für den sehe ich nur wenige Möglichkeiten: Entweder er verliert den Verstand ob der absoluten Sinn- und Hoffnungslosigkeit des Menschseins. Oder er beendet sein Leben von eigner Hand, in dem verzweifelten Versuch ein letztes Statement für die Würde des Menschen, für seine Entscheidungsfreiheit zu setzen. Oder er stürzt sich doch noch in irgendeine Form von Ablenkung, findet irgendeine Ausrede warum nicht alles ganz so schlimm ist wie es scheint und lernt mit dieser Lüge zu leben, bis dass der Tod sie scheidet. Oder er wagt es, wider die gesammelte Unvernunft dieser Welt an etwas Anderes zu glauben. Zum Beispiel an Einen, der stärker ist als der allgegenwärtige Tod. An Einen, der weiser ist als die eine Allerweltsmeinung, die wir uns alle „persönlich“ gebildet und bebildert haben. An Einen, der gerechter ist als all unsere politisch korrekt ausbalancierten Be- und Verurteilungen. An eine Liebe die man nicht macht, sondern die Macht hat, alles anders zu machen. An Einen, der verrückt genug ist, freiwillig auf diese Welt zu kommen - als Kind in ein besetztes Land, als Mensch unter die Bestien nach seinem Bilde. Viel schwerer als an Gott zu glauben erscheint es mir heute, immer noch an uns Menschen zu glauben. Das gelingt mir nicht mehr ohne die ständige Hilfe dieses Gottes, der wie kein anderer, immer noch, an die Menschen glaubt. Nur an Gott glauben, dass lehrt vielleicht auch eine Religion. Aber von Gott lernen, wieder an den Menschen zu glauben, Hoffnung inmitten alltäglicher Verzweiflung, Zukunft trotz des letzten Klimagipfels oder Friedensprozesses oder Resolutionsmaratons, dass finde ich nur bei jenem Einen, nach dem ich mich Christ nenne.
Sicher, es gibt genug negative Beispiele von Christen die geizig, unsensibel, verbohrt und lieblos sind. Und es gibt auch Beispiele von vernünftigen und hilfsbereiten Nichtchristen. Aber das eine wirkliche Hinwendung zu Christus die Menschen nicht lebensfähiger, einsichtiger, solidarischer, weiser und liebevoller macht als sie vorher waren, dazu fällt mir kein Beispiel ein. Vielleicht bin ich neben vielen andern Gründen auch deshalb immer noch Christ, weil mir scheint, als mache Christsein die Menschen menschlicher. Beileibe nicht perfekt, aber dennoch ihrem Vorbild entsprechender.

1 Kommentar:

bennik hat gesagt…

Marx (der atheistische, nicht der Bischof) schreibt, und das steht direkt vor dem berühmten Opium des Volkes: "Religion ist das Herz einer herzlosen Welt"
Eine Aussage, die ich in deinem Text auch widerhallen höre.
Danke für den Text.

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